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Steuertücken in Polen – nach wahren Begebenheiten
Mit diesem Beitrag will ich zwei Geschichten erzählen, die in unserer Praxis vorgekommen sind. Diese Erzählung ist angedacht, womöglich jemand vor einer Wiederholung zu bewahren. Beide Fälle haben sich im Anlagenbau ereignet. In beiden Fällen hat der Endkunde den Auftrag im Regime von Ausschreibungen aus der öffentlichen Hand vergeben.
Fall 1 – ein schlüsselfertiges Werk und die unklare Umsatzsteuer
Der erste Fall ist eine Baustelle mit einem schlüsselfertigen Werk. Die vertragliche Grundlage war die FIDIC-Vorlage mit etlichen Änderungen. Üblicherweise ist ein FIDIC-Vertrag aufgebaut: 1% Zahlung bei Vertragsabschluss, dann wird die Vertragserfüllung durch einen Vertragsingenieur überwacht, der in regelmäßigen Abständen die Fortschritte abmisst und Zahlungszertifikate ausstellt, die einen Zahlungsanspruch des Bauherrn im Verhältnis zum Fortschritt der Arbeiten begründen. Die letzten 20% werden nach Vertragserfüllung bezahlt. Bürgerrechtlich ist ein FIDIC-Vertrag im Regelfall ein Bauvertrag, mit dem der Generalunternehmer verpflichtet wird, ein vollständiges Bauwerk zu liefern. Sollte er am Bauvorhaben scheitern, ist er dann im Modelfall verpflichtet, den Ursprungszustand der Baustelle wiederherzustellen – was in wirklichen Leben zugegeben nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Gründen eher nie geschieht.
Der springende Punkt dieser Geschichte ist, welchen Charakter für die Umsatzsteuer die Zahlungen für den Bauherrn vor der Schlussrechnung haben. Dies vor dem Hintergrund, dass für die Umsatzsteuer entweder eine Leistungserfüllung oder die Vereinnahmung einer Vorauszahlung ein Steuerereignis darstellt. So sind hier die Zahlungen vor der Schlussrechnung grundsätzlich Vorauszahlungen, auf die der Anspruch mit den Zahlungszertifikaten bestätigt wird. In Polen tritt aber auch stark die Überlegung in den Vordergrund, ob es sich nicht um Bezahlungen von (Teil)Leistungserfüllungen handelt, die mit den Zahlungszertifikaten zum jeweiligen Stichtag festgestellt werden.
Der Verstand sieht, dass die vertragliche Leistung in der Lieferung eines schlüsselfertigen Werkes besteht und daher vor dieser Lieferung eine Leistung nicht erbracht werden kann. In unserem Fall hätte sich nun aber der Verstand geirrt.
In unserem Fall gab es in puncto Rechnungslegung eine Zwischenstelle zwischen dem Mandanten und dem Investor: Der Bauherr war ein Konsortium, in dessen Rahmen zwar der Mandant der Konsortialführer war, die Rechnung an den Investor aber ein Konsorte gelegt hat, umsatzsteuerlich war er der Leistungsempfänger des Mandanten. Der Leistungsempfänger war ein polnisches Bauunternehmen. Der Leistungsempfänger ist von Teilleistungserbringungen ausgegangen, hat an den Investor Rechnungen nach seinem Gutdünken zum Stichtag des jeweiligen Zahlungszertifikats gelegt und erwartet, dass ihm der Mandant mit seiner Rechnung folgt. Der Mandant hat sich geweigert, eine solche Rechnung zu legen – da zu jener Rechtslage eine Rechnungslegung dem Einverständnis mit dem Vorliegen eines Steuerereignisses geglichen hätte. Das war für den Mandanten umso mehr inakzeptabel, als er bei den vorliegenden vertraglichen Zahlungskonditionen die Steuer zwecks Abführung um etwa sechs Wochen vorfinanzieren müsste, bevor die Zahlung vom Investor auch an ihn kam. Der Leistungsempfänger hat aber auf die Rechnung vom Mandanten gepocht, um sie vorsteuerseitig geltend zu machen und seine eigene Steuerschuld zu mindern: Hier ist zu erläutern, dass die Umsatzsteuererklärungen in Polen bei den hier in Frage kommenden Umsatzvolumina monatlich abgegeben werden, in Polen gibt es keine monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen und eine Umsatzsteuer-jahreserklärung zum Jahresende sondern monatliche finale Steuererklärungen. Da der Leistungsempfänger die Eingangsrechnung vom Mandanten letzten Endes erst nach der Bezahlung und etwa zwei Monate über seine Erwartung hinaus bekommen hat aber seine Rechnung an den Investor längst gelegt war, so hat der Leistungsempfänger seinen Umsatz nach seiner Vorstellung erklärt und … die Steuer nicht bezahlt. Er hat die Steuer an sich vollstrecken lassen ohne irgendetwas dagegen zu tun: Ohne die zumindest diskutabel gelegte Rechnung zu stornieren, ohne sie etwa als steuerirrelevant bis zur Bezahlung zurückzuhalten, ohne eine Zahlungsstundung zu beantragen etc. Die dabei angefallenen Vollstreckungskosten hat er bei dem Mandanten als Schadensersatz eingeklagt.
Auch nach dem polnischen Gesetz liegt ein Schadensersatzfall vor, wenn der Schaden unmittelbar durch das Handeln oder Unterlassen durch den Verursacher zugefügt wird. Sollten dem Geschädigten Mittel verfügbar sein – Rechnungsstornierung, Rechnungserklärung nach Bezahlung, Stundung der Zahlung etc. … – die er eigenwillig nicht hat zum Einsatz kommen lassen, so dürfte er einen Schadensersatz nicht verlangen: Wer sich selbst schadet ist ja auch selber schuld. Hier, wohl vermerkt, ging es nicht nur allein um die Frage, ob eine Rechnung gelegt werden sollte oder nicht, sondern auch um eine Reihe von allen möglichen Zwischenstellen, die zum Anfall der Vollstreckungskosten geführt haben, mitunter nicht zuletzt um die ausgebliebene Steuerzahlung durch den Leistungsempfänger – der in diesem Fall auch das Geld hierfür hätte, wie es sich später herausgestellt hat. Und hier kam eigentlich der Super-GAU: Das polnische Gericht hat dem „Geschädigten“ Recht gegeben und der Mandant blieb auf einem sechsstelligen Eurobetrag an Vollstreckungskosten des Leistungsempfängers sitzen.
Fazit: In Polen bietet es sich, die Zahlungskonditionen unter detaillierter Festlegung der Zeitpunkte der Rechnungslegung und Berücksichtigung der Steuerereignisse abzustimmen, bevor die Rechnungslegung während der Vertragsausführung Unstimmigkeiten zwischen Geschäftspartnern herbeiführt.
Fall 2 – Anlagen für ein bestehendes Werk und eine „leere“ Rechnung
In unserem zweiten Fall handelte es sich um Ausrüstung eines bereits bestehendes Werkes, um fix mit dem Gebäude zu verbindende Anlagen. Hier lieferte der Mandant neue Technik an den Generalunternehmer, der diese Technik an die bereits vor Ort bestehenden Einrichtungen anschloss. Die erste vertragliche Zahlung war eine Anzahlung auf die dann kommenden Anlagen, den Anspruch auf die Auszahlung begründete die Erstellung und Übergabe von bestimmten technischen Unterlagen. Der Auftraggeber hat hier Zahlung gegen Rechnung vereinbart, die Rechnung auch bekommen und … nicht bezahlt. In Polen haftet der Investor bei öffentlichen Ausschreibungen für die Auszahlung der Subunternehmer durch den Generalunternehmer, so ist hier der Mandant auch zu seinem Geld gekommen, allerdings erst ein Jahr, nachdem er seine Anzahlungsrechnung gelegt hatte.
Inzwischen hat das Finanzamt die Abführung der Steuer aus der gelegten Anzahlungsrechnung überprüft – aus welchem Grund auch immer, vermutlich hat der Auftraggeber eine Vorsteuererstattung unter anderem auch aus dieser Rechnung beantragt. Zur Erinnerung: Eine Vorauszahlung ist umsatzsteuerpflichtig, sobald sie vereinnahmt wird. Dass es sich um eine Vorauszahlung handelt, war unstrittig. Dass sie erst ein Jahr nach der Rechnungslegung bezahlt wurde, stand auch außer Frage. Das polnische Finanzamt hat jedoch folgenden Dietrich gefunden, um die Bezahlung der Steuer aus der nicht bezahlten Anzahlungsrechnung zu verlangen: Die gelegte Rechnung sei eine „leere Rechnung“, aus welcher die Steuer nach Art. 203 der Umsatzsteuerrichtlinie 2006/112/EG zu bezahlen wäre. Der Art. 203 verlangt die Bezahlung der Umsatzsteuer aus einer Rechnung, hinter welcher keine Leistung steht. Das polnische Finanzamt hat die Argumentation nicht gewürdigt, dass hier sehr wohl eine Leistung hinter der Rechnung steht, da die technischen Unterlagen, die den Anspruch auf die Anzahlung begründeten, unstrittig erstellt und übergeben wurden. In der Folge müsste der Mandant die Steuer einmal aus der „leeren Rechnung“ bezahlen und dann nochmal auf die Bezahlung, die ein Jahr später erfolgte – was er auch dann tat. Der entsprechende Bescheid der polnischen Steuerbehörden befindet sich gegenwärtig erstmal in der Berufung.
Fazit: In Polen bietet es sich, Rechnungslegung über Vorauszahlungen erst nach Geldeingang zu vereinbaren. Guter Ordnung halber ist anzumerken, dass eine Rechnung nach dem polnischen UStG frühestens 30 Tage vor der Steuerpflicht gelegt werden darf. So bietet es sich auch vor diesem Hintergrund, keine Rechnungen vor der Vereinnahmung einer Vorauszahlung zu legen, da die vorgenannten 30 Tage aus diversesten Gründen nicht eingehalten werden können.
Unterm Strich
Die Steuern sind grundsätzlich eine Ableitung des Geschäftslebens: Ohne das Geschäft gibt es ja auch keine Steuern. Die beiden Beispiele zeigen aber, dass die Steuern während der Geschäftsumsetzung zur unerwarteten Belastung wenn nicht des Ergebnisses so mindestens der Liquidität werden können. Vor diesem Hintergrund bietet es sich, mit den Geschäftspartnern sämtliche Details der Rechnungslegung wie etwa den Zeitplan und die steuerliche Betrachtung abzustimmen, um keinen späteren Überraschungen ausgesetzt zu werden.
Krasna, 30. Dezember 2021
/-/ Szymon Lubina
Steuerberater Zulassung Nr. 11049
Geschäftsführer
RLS Legal & Tax Advice Sp. z o.o. Steuerberatungsgesellschaft
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